Wissenschaftskommunikation zwischen Vielfalt und Universalität
Markus Pössel
Während der Podiumsdiskussion über Wissenschaftskommunikation am letzten Tag des 11. Heidelberg Laureate Forum kam mir immer wieder die Universalität dessen in den Sinn, was ich da hörte. Das mag angesichts der Vielfalt der Podiumsteilnehmer:innen auf den ersten Blick überraschen: Yudhi Bunjamin, ursprünglich aus Indonesien, mit einem frisch erworbenen Doktortitel in Mathematik und jahrelanger Erfahrung in der Durchführung von Outreach-Workshops an der University of New South Wales. Érika Roldán, die ursprünglich aus Mexiko stammt und jetzt in Deutschland arbeitet, mit einem Zwischenstopp in den USA; in ihrer Jugend war sie Profifußballerin und ist jetzt Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften. Coumba Sarr, die aus der akademischen Welt als Beraterin zum französischen IT-Unternehmen Atos wechselte, und in Frankreich und im Senegal bei mehreren mathematischen Outreach-Organisationen tätig ist. Moira Chas, ursprünglich aus Argentinien stammend und heute Professorin für Mathematik an der Stony Brook University in New York, deren aus Drahtgeflecht angefertigten Klein-Flaschen zuvor Teil der HLF-Ausstellungen waren und während der Diskussionsveranstaltung durch das Publikum gereicht wurden.
Die Diskussion, die von Anna Maria Hartkopf gekonnt moderiert wurde, zeigte jedoch schnell, wie viele Gemeinsamkeiten es bei den Anliegen, dem, was als Herausforderungen wahrgenommen wurde, und in der allgemeinen Praxis der Diskussionsteilnehmer gab. Und auch darüber hinaus: Vieles von dem, was angesprochen wurde deckt sich sowohl mit meinen eigenen Erfahrungen in der astronomischen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, und Wissenschaftskommunikator:innen anderer Fachdisziplinen dürfte es sicher genau so gehen.
An wen richten wir uns eigentlich?
Zum Beispiel stehen wir letztlich alle vor der Frage, an welches Zielpublikum sich unsere Aktivitäten richten sollen. Zwei grundsätzliche Möglichkeiten: Versuchen wir in erster Linie, künftige Wissenschaftler:innen zu gewinnen, wie es Sarr beim Training des senegalesischen Teams für die (französischsprachige) Mathematikolympiade tut? Oder versuchen wir, ein allgemeines Publikum zu erreichen, die sprichwörtlichen Steuerzahler, die einen Großteil der Finanzierung von Grundlagenforschung tragen? Versuchen wir gezielt, Gruppen zu erreichen, die traditionell unterversorgt sind, wenn es um Wissenschaft geht, wie es Roldán sowohl mit marginalisierten Gruppen in Mexiko als auch mit einem LatinX-Publikum in den USA getan hat? Letzteres durchaus auch mit dem Ziel, künftige Wissenschaftler:innen zu gewinnen, denn wie Roldán sagte: Es dürfte da draußen eine Menge brillanter Köpfe geben, die bloß keine Chance und nicht die nötigen Ressourcen hatten, eine wissenschaftliche Karriere zu beginnen.
Mit der Wahl der Zielgruppe ist auch die Frage verbunden, was man wie vermitteln will. Dazu beschrieb Bunjamin, wie sich die ersten Projekte, an denen er teilnahm, darauf konzentrierten, dass Mathematik entweder nützlich oder für die künftige Karriere relevant ist, während sich seine derzeitigen Bemühungen auf die Frage konzentrieren, was Mathematik ist und was es überhaupt bedeutet, Mathematiker:in zu sein.
Unterschiedliches Vorgehen bei unterschiedlichen Zielgruppen
Unterschiedliche Zielgruppen erfordern unterschiedliche Ansätze. Das fängt bei ganz praktischen Aspekten an: Roldán beschreibt Situationen in Mexiko, in denen Bleistift und Papier zu den wichtigsten Hilfsmitteln der Outreach-Aktivität wurden und man nicht einmal damit rechnen konnte, dass Stühle und Tische vorhanden sein würden. Aber die Bereitschaft, flexibel zu sein, ist eine viel allgemeinere Notwendigkeit. Schließlich geht es gerade nicht darum, ein bestimmtes, im Voraus festgelegtes Programm zu absolvieren. Es geht darum, die Teilnehmer:innen dazu zu bringen, selbst zu denken oder, in der poetischeren Wortwahl von Chas, ihnen den Weg zu auszuleuchten, den sie dann selbst gehen können. Deshalb gibt Bunjamin den Mitarbeiter:innen, welche die von ihm organisierten Mathematik-Workshops durchführen, auch jeweils von Anfang an mit auf den Weg, dass ihre Aufgabe nicht darin besteht, zu reden, sondern zuzuhören – und dass sie sich insbesondere nicht zu sehr von den Themen und Fragen leiten lassen sollten, von denen sie wissen, dass sie im Laufe des Workshops auftauchen werden.
Und, funktioniert es?
Gerade bei flexiblen Formaten ist ein aussagekräftiges Feedback wichtig, um beurteilen zu können, ob die Aktivitäten wie beabsichtigt funktionieren. Einige dieser Rückmeldungen können auf systematische Weise eingeholt werden, z. B. geeignete Umfragen oder die Befragung von Fokusgruppen. Manchmal ergibt sich das Feedback ganz natürlich im Laufe der Interaktionen. Bunjamin erwähnte ein Beispiel: Charakteristisch für die Mathematik ist, dass sie neue Probleme gerne löst, indem sie sie auf ältere, bereits gelöste Probleme zurückführt. Entsprechend sieht er als Indikator dafür, dass seine Workshop-Teilnehmer:innen beginnen, sich die mathematische Denkweise zu eigen zu machen, wenn sie beginnen sich darüber zu freuen, dass die verschiedenen Probleme, die im Laufe des Workshops vorkommen, so eng miteinander verbunden sind!
Am Ende läuft es auf das hinaus, was Bunjamin an entsprechender Stelle während der Diskussion sagte: Das Schwierigste an der heutigen Wissenschaftskommunikation sei es, zu vermitteln, dass Wissenschaftskommunikation schwierig ist und keineswegs ein triviales Problem darstellt. Diese Botschaft richtet sich in erster Linie an die eigenen wissenschaftlichen Kolleg:innen, an die eigenen Chefs, an diejenigen, die selbst an Wissenschaftskommunikation interessiert sind, und an diejenigen, deren Unterstützung und Führung eine effektive Wissenschaftskommunikation erfordert. Wobei Chas gleich ergänzte: Wir sollten „schwierig“ in „erfordert Zeit und Aufwand“ ändern, da „schwierig“ sonst als Entschuldigung dafür genommen werden könnte, es gar nicht erst zu versuchen. Für Forscher:innen, die sich in der Wissenschaftskommunikation engagieren wollen, ist Begeisterung für die eigene Forschung und das Bestreben, diese Begeisterung zu teilen, ein wertvoller Ausgangspunkt, aber eben nur ein Anfang – gefolgt von Gedanken zum Zielpublikum, der Offenheit, sich flexibel an die Bedarfe der Adressat:innen anzupassen, und dem Einplanen von Feedback, um herauszufinden, ob die eigene Öffentlichkeitsarbeit tatsächlich so funktioniert, wie man sich das vorgestellt hat.
The post Wissenschaftskommunikation zwischen Vielfalt und Universalität originally appeared on the HLFF SciLogs blog.